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[纲德]生活世界现象学
——胡塞尔与海德格尔(中德文)
  作者:[德]汉斯-赫尔姆特·纲德(Hans-Helmuth Gander) | 中国民俗学网   发布日期:2009-04-24 | 点击数:21132
 

  II.

  Im Blick auf diese Probleme der Dingwahrnehmung – und damit komme ich zum zweiten Teil meines Vortrages - hat schon der frhe Heidegger deutliche Kritik angemeldet. So hat er bekanntlich darauf hingewiesen, dass ein natrlich immer auch raum-zeitlich situiertes Ding wie z. B. ein Bleistift in meiner Hand mir darin nicht primr als Raum-Zeit-Krper begegnet. Vielmehr erweist sich der Bleistift als ein Ding, das fr die Erfassung seiner Seinsart primr aus seinem Gebrauch, seiner Dienlichkeit her bestimmt werden muss. Heideggers Kritik am Primat einer fundierenden Wahrnehmung fhrt ihn dann zu einer Neuformulierung des Lebensweltbegriffes, der darin zugleich die Umbildung der Husserlschen Phnomenologie zu einer hermeneutischen Phnomenologie initiiert.   

  Was es damit auf sich hat, lsst sich anschaulich zeigen, wenn man Heideggers im Sommer 1919 formulierte Analyse des Umwelterlebnisses nher betrachtet. Das Beispiel, das Heidegger whlt, ist das beim Betreten eines Hrsaals erblickte Katheder. Seine die Analyse einleitende Ausgangsfrage lautet: „Was sehe ich?“ Von Beginn an wehrt Heidegger entschieden die Auffassung eines wahrnehmungstheoretisch explizierbaren Fundierungszusammenhanges ab, „als she ich [wie Heidegger ausfhrt] zuerst braune, sich schneidende Flchen, die sich mir dann als Kiste, dann als Pult, weiterhin als akademisches Sprechpult, als Katheder gben, so da ich das Kathederhafte gleichsam der Kiste aufklebte wie ein Etikett“ (GA56/57, 71). Fr Heidegger ist das missdeutende Interpretation. Positiv bestimmt sich fr ihn hingegen das Erlebnis so: „Ich sehe das Katheder gleichsam in einem Schlag; ich sehe es nicht isoliert, ich sehe das Pult als fr mich zu hoch gestellt [...], ich sehe das Katheder in einer Orientierung, Beleuchtung, einem Hintergrund“ (GA56/57, 71).

  Das Beispiel prludiert in Struktur und Gehalt deutlich der aus „Sein und Zeit“ bekannten Analyse der Umweltlichkeit. Das heit, es macht klar, dass mir Umweltliches nicht fr sich gegeben ist, sondern einzig in seiner Bedeutsamkeit fr mich. Ich bin im Kathedersehen, wie Heidegger betont, „mit meinem vollen Ich dabei“ (GA56/57, 75). Mit dem Ereignischarakter unterstreicht er folglich, dass das Umweltliche in bezug auf sein Erleben die „genuine Selbstausweisung in sich selbst“ (GA56/57, 91) hat. Denn im Erleben offenbart sich mir sein Bedeutungscharakter unmittelbar und gleichsam in einem Schlage.

  Das im Kontext des Kathedersehens angesprochene Als nennt Heidegger an anderer Stelle bezeichnenderweise „das Als der Bedeutsamkeit“ (GA 58, 114). Dieses Als der Bedeutsamkeit ist ein, wie er sagt, „notwendig immer situationsentwachsenes historisches“ (GA 58, 114). Das so bestimmte Strukturmoment bezeichnet in diesen frhen Vorlesungen nichts anderes als jenes bekannte hermeneutische Als, das in „Sein und Zeit“ im Unterschied zum apophantischen Als von Heidegger als Konstituens der fundamentalen vortheoretischen Seinsweise der Auslegung, in der sich der Mensch ja bestndig bewegt, zum Aufweis gebracht wird. Entscheidend ist fr Heidegger hierbei, dass jegliches vorprdikative schlichte Sehen von Dingen selbst immer schon verstehend-auslegend ist.

  Dass und wie vom Auslegenden her das Auszulegende in seinen Verweisungsbezgen vorverstanden sein muss, um sich in seiner Dienlichkeit zu erschlieen, przisiert der frhe Heidegger im gewhlten Beispiel des Kathedersehens mit dem Mittel einer Selbstanfrage. In ihrem Gefolge wird das umweltlich erlebende Ich in den sein auslegendes Verstehen allererst konstituierenden Mglichkeiten offengelegt. Heidegger fragt sich, ob dieses ‚Erfassen des Katheders in einem Schlag‘ nur unter der Voraussetzung einer Teilhabe an der eigenen akademischen Lebensform mglich ist. Den Einwand sttzt er durch den Hinweis auf einen Schwarzwaldbauern, der den Hrsaal betreten knnte, ohne zu wissen, dass dies da ein Katheder ist bzw. so heit. Heidegger verschrft den Blickwinkel noch, indem er einen Senegalesen assoziiert, der unversehens aus seiner Htte in den Hrsaal versetzt dem Katheder in vlliger Unkenntnis seiner Dienlichkeit gegenberstnde.

  Bei diesen Beispielen geht es Heidegger darum, zu zeigen, dass auch eine mangelnde oder gar fehlende Vertrautheit mit dem akademischen Lebenszusammenhang, nicht dazu fhrt, dass anstelle des Katheders einzig Farbkomplexe und Flchen gesehen werden. Denn auch der Schwarzwaldbauer sieht nach Heidegger den vor ihm befindlichen „Gegenstand als mit einer Bedeutung behaftet“ (GA 56/57, 71). Er sieht nmlich, wie Heidegger betont, „den Platz fr den Lehrer“ (GA 56/57, 71). Und auch der hier von Heidegger als Beispiel des Exotisch-Fremden zitierte Senegalese sieht das Katheder entsprechend der apriorisch existenzialen Auslegung nicht als bloes Etwas, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach „als ein Etwas, ‚mit dem er nichts anzufangen wei‘“ (GA 56/57, 72). Das aber heit, dass so individuell und sogar grundverschieden das auffassende Sehen von so etwas wie einem Katheder ausfallen mag, so eignet doch dem umweltlichen Erleben immer schon ein „bedeutungshaftes Moment“ (GA 56/57, 72). Wichtig zu beachten ist, dass dieses ‚bedeutungshafte Moment’ nicht als ein dem erstgegebenen Gegenstand zustzlich aufgelagerter Bedeutungscharakter begriffen werden darf.

  Von hier aus formuliert Heidegger die Grundeinsicht, dass das „Bedeutungshafte des ‚zeuglichen Fremdseins‘ und das Bedeutungshafte ‚Katheder‘ [...] ihrem Wesenskern nach absolut identisch“ (GA 56/57, 72) sind. Das dergestalt identisch Bedeutungshafte hat seinen Wesenskern im Potential seiner das Umweltliche konstituierenden Bedeutsamkeit. Bedeutsamkeit ist demnach die formale Struktur allen umweltlichen Erlebens. Da Bedeutsamkeit immer Bedeutsamkeit von etwas Bedeutsamem fr jemanden ist, gibt sie sich im Bezug auf den umweltlich Erlebenden entweder wie im Beispiel des Katheders fr den Professor erschlossen oder im Blick auf den Senegalesen verschlossen. Damit kommt ein weiterer entscheidender Aspekt zum Tragen. Denn im Aufweis des unterschiedlich gearteten bedeutungshaften Momentes konturiert sich als erkenntnisfundierender wie verhaltensregulierender Aspekt jetzt die Differenz der Bedeutsamkeit als Unterschied der Lebenswelten. In diesem Sinne ist also die Lebenswelt in sich immer schon zugleich plural und kontingent verfasst und als diese kulturelle Sinnbezugsvielfalt durch und durch historisch bestimmt. Dabei ist es die jeweils konkrete Lebenswirklichkeit, die in ihrer Bedeutsamkeit die Sinnerschlossenheit des jeweiligen Umwelterlebens konstituiert.

  Auf der Ebene des Beispieles heit das, dass der Senegalese aus seinem eigenen nichtwissenschaftlich geprgten geschichtlichen Erfahrungshorizont heraus, innerhalb dessen sich seine Deutungskategorien ausbilden, wesensmig das Katheder nicht als ein solches zu begreifen vermag. Die wissenschaftliche Lebenswelt bleibt auf der Ebene des gewhlten Beispiels in ihren Bedeutungszusammenhngen fr ihn unentdeckt und in ihrer Unzugnglichkeit fremd. Die angesprochene Entdeckbarkeit charakterisiert zugleich auch den qualitativen Unterschied in der Lage des Senegalesen und des Schwarzwaldbauern. Denn der individuell konkrete lebensweltliche Erfahrungsbezug des Schwarzwaldbauern ist zwar auch nichtwissenschaftlich. Aber die konkrete lebensweltliche Erfahrung des Schwarzwaldbauern ist situiert innerhalb des ihn individuell bersteigenden kulturell historischen Horizontes, dem als europische Kultur auch die wissenschaftliche Lebensform angehrt. Dieser kulturell historisch selbige Horizont erffnet dem Schwarzwaldbauern dann aber die Mglichkeit, im Sehen des Katheders das bedeutungshafte Moment ‚Platz fr den Lehrer‘ als Sinnbezug zu enthllen. So knnte das Anordnungsverhltnis von Pult und Bnken den Bauern an das Klassenzimmer seiner Schulzeit erinnern, in dem das, was gelehrt wird, vom Pult aus der Schulklasse verkndet wird.

  In seinem Beispiel hat Heidegger die Fremdheitserfahrung des Schwarzwaldbauern oder des Senegalesen beim Betreten des Hrsaales in betontem Sinne an eine Ortsverlagerung geknpft. Ihr lebensphnomenologisches Gewicht erhlt sie allerdings dadurch, dass hier die Ortsverlagerung genauer als Differenzerfahrung interpretiert werden muss. Der dabei verwendete Begriff von Erfahrung bezeichnet mit Wilhelm Diltheys Worten jenen Vorgang, „durch welchen ein Wirkliches dem Bewutsein aufgeht“ (Dilthey XIX,23). Ihrer Struktur nach ist Erfahrung ein offenes Geschehen. Einzig auf diese Weise kann einen die Erfahrung dann auch etwas lehren. Und was sie lehrt, ist die Anerkennung des Wirklichen im faktischen Dass seines Wie. Hermeneutisch betrachtet ist das die Anerkennung der in der Differenz der Bedeutsamkeiten sich ereignenden Pluralitt der von Grund auf pluralisierten Lebenswelt. Dass das Differentielle der Welt nicht blo ontische Vielfalt ist, vielmehr die ontologische Struktur der Lebenswelt auszeichnet und damit den traditionellen Begriff von Welt als die Ganzheit des Seienden berwindet, zhlt zu den entscheidenden und seinen weiteren Denkweg bestimmenden Einsichten der Heideggerschen Analyse des Umwelterlebnisses.

  Zusammenfassend erweist sich der Als-Bezug in der konkreten hermeneutischen Situation etwa des Kathedersehens in seinem Lebensweltbezug vorbestimmt durch die historisch kulturelle Konstellation. Konkret heit das, dass etwas als Bedeutsames fr mich nur verstanden wird, sofern mein es ‚als etwas Sehen‘ geleitet wird von einem vorgngigen Verstndnis des ihm zugehrigen Verweisungszusammenhanges. Dieser zieht jenen lebensweltlichen Horizont aus, in dem ich mich verstehend auslegend zu dem umweltlich Begegnenden verhalte. Damit wird die Welthaftigkeit des Umweltlichen und mithin die genuine Selbstausweisung in der Bedeutsamkeit konstitutiv an das sie erlebende Ich rckgebunden. Und dies geschieht in der Weise, dass sich mir die Mglichkeit der Sinnerschlieung des apriori bedeutungshaften Etwas als bedeutsam fr mich erschliet. Das aber geschieht nur, wenn ich das Etwas als zugehrig zu meiner lebensweltlichen Situation, aus der heraus sich mir meine Verstehensmglichkeiten vorzeichnen, identifizieren kann. Darin zeigt sich zugleich ein der Situation inhrenter Aufforderungscharakter. Verstanden habe ich nmlich eine Situation nur, wenn ich die situativen Gegebenheiten so in meine Kompetenz integrieren kann, dass ich darin die erkenntnis- wie handlungsrelevanten Erfordernisse der Situation erflle.

  Von daher entfaltet sich der Sinn des Ausdrucks ‚Selbst‘ in und als die Weise des Verhaltens. Der Blick richtet sich bei Heidegger darauf, dass ich mir selbst in der Lebenswelt aus jenen Bezgen heraus begegne, in denen ich zumeist sogar unausdrcklich lebe. In der Regel gebe ich mich in ihnen dabei jeweils mit zu Besorgendem ab. So gesehen begegne ich mir primr in bzw. aus meiner Umwelt, aber auch, da ich sie zumeist koexistenziell mit Anderen teile, in bzw. aus meiner Mitwelt. Mit anderen Worten lebe ich in einer Welt, die als Um- und Mitwelt ihre charakteristische Bedeutsamkeit von meinem Selbst her gewinnt. Dieses strukturell zu fassende ‚von meinem Selbst her‘ zeitigt sich fr Heidegger aber nicht erst mittels eines reflexiven Aktes. Vielmehr ist aller Reflexion zuvor unser Welt- als Selbstverhltnis konstituiert, und folglich ist unser Selbstverhltnis ursprnglich Weltverhltnis.

  Die programmatische Antwort, die Heidegger daher auf die gestellte Frage nach dem Sinn des Selbst im faktischen Lebensvollzug gibt, lautet so gesehen stimmig: „Die Ausdrucksgestalt des Selbst ist seine Situation. Ich habe mich selbst heit: die lebendige Situation wird verstndlich“ (GA 58, 166). Das aber bedeutet, dass das mit dem Etwas-Verstehen verwobene konstitutive Moment des Sichverstehens bestimmt ist als situationsadquates sinnerschlieendes Entwerfen auf Mglichkeiten hin, die im Raum ihrer Verwirklichung wie im Profil ihrer konkreten Erfordernis durch die faktische Situation der Lebenswelt vorstrukuriert werden.

  Das damit gegenber der Tradition des ‚ich‘ nun ohne Objektivierung formulierte Phnomen des Selbst artikuliert nach Heidegger „den Rhythmus des Erfahrens selbst“ (GA 58, 258). Das heit, das Selbst ist einzig im „Ausdruck der Situation gegenwrtig“ (GA 58, 258). In diesem Sinne ist das historisch faktische Selbst fr Heidegger weder substantia, noch ichlicher Wesenskern, sondern, wie er es formuliert, „Funktion der ‚Lebenserfahrung‘“ (GA 56/57, 208). Seine Konkretion ist eben die selbstweltliche „Situation ohne Objektivierung“ (GA 58, 258). Heidegger erlutert dies dahingehend, dass der Lebenserfahrungszusammenhang „ein Zusammenhang von Situationen [ist], die sich durchdringen“ (GA 56/57, 210). Mit der Ansetzung des Selbst als Funktion der Lebenserfahrung wird im prozessualen Verstndnis die Idee des Ich lebensweltlich kontextualisiert. Prgnant fasst Heidegger dies so zusammen: „Das Selbst lebt in immer neuen und neu sich durchdringenden, fr alle folgenden unverlierbaren Situationen“ (GA 58, 62). Eine solche Selbstweltsituation ist nach Heidegger darum auch „keine ordnungsbestimmte Konfiguration von Dingelementen, sondern Phnomen, Lebensgebilde, Lebenszusammenhang“ (GA 58, 165).

  Die Nhe zu Diltheys hermeneutischem Grundbegriff des Lebenszusammenhanges ist hier deutlich zu erkennen. Sie beruht auf Heideggers in diesen frhen Jahren positiver Wrdigung der Diltheyschen Lebensphilosophie als einer fr ihn notwendigen Station auf dem eigenen Weg. In dieser Nhe tritt aber zugleich auch schon Heideggers eigenstndige Transformationsleistung in den Blick. Denn fr Dilthey agiert das Selbst qua Zusammenhalt stiftende Einheit der ‚Krfte des Seelischen‘ einzig in der Rolle eines Antriebs fr die Entwicklung und Entfaltung des Lebens- als Strukturzusammenhangs. Allerdings bleibt die Zuwendung zu den „Lebensbeziehungen, in denen sich dies Selbst findet“ (Dilthey XIX, 349) bei Dilthey in einer eher indifferenten Zustndlichkeit. Demgegenber artikuliert fr Heidegger die Situation als Ausdrucksphnomen gerade den Seinscharakter des Selbst. Das aber heit, dass im Sinne der frhen Ontologie der Faktizitt es fr Heidegger so besehen weder sinnvoll noch mglich ist, von einem Sein des Ich zu sprechen, das unabhngig davon ist, wie es situativ gegeben ist. Deshalb bestimmt Heidegger dieses Ich explizit als „Situations-Ich“ (GA 56/57, 208).

  In diesem Sinne bestimmt sich das Ich in der vollzugsgeschichtlichen Funktion des Lebenszusammenhanges fr Heidegger im „faktischen Wie der bekmmerten [d. i. sorgenden] Selbstaneignung des Selbst“ (GA 9, 35), d. h. in der kompetenten Situationsbewltigung. Im Blick auf eine darin in verschiedenen Stufen sich steigernde „Konzentration des Vollzugs“ (GA 58, 260) gewinnt dieser Prozess der Selbstaneignung fr Heidegger seine qualitativ hchste Verdichtung in „der Spontaneitt des lebendigen Selbst“ (GA 58, 261). Der Anklang, der in dem nicht nher von Heidegger erluterten Begriff der Spontaneitt hrbar wird, verweist seiner Tendenz nach auf eine Nhe zu Bergsons These von der Spontaneitt als Struktur der Freiheit, ohne allerdings die bei Bergson damit verbundene metaphysische Basis des lan vital mit zu aktivieren. Die Spontaneitt als der, wie Heidegger sagt, „Grundsinn des Vollzugs des Selbst in seinem [faktisch historischen] Leben“ (GA 58, 261) verleiht dem Sinn von Existenz seine ursprngliche Bedeutung. Ist das Selbst als Funktion der Lebenserfahrung, wie gesehen, einzig in der Situation gegenwrtig, so erfhrt in der vollzugsdominanten Spontaneitt als Struktur der Freiheit damit die Situation insofern eine Modifizierung ihres Gehaltsinnes, als es nun fr Heidegger „zur schpferischen Gestaltung der Lebenswelt“ (GA 58, 261) kommt. Sie setzt darin Weisen der Selbstgestaltung frei, die ihrerseits zu einer gelingenden personalen Identitt beitragen knnen. In diesem gestalterischen Moment ist eine Seinssinnstruktur angezeigt, die im Begriff der Spontaneitt einen Vorverweis erkennen lsst auf den in „Sein und Zeit“ entfalteten existenzialen Entwurf-Charakter des selbsteigenen und in diesem Sinne eigentlichen Daseins. Damit hat Heideggers Hermeneutik des Selbst zugleich jenen Punkt aufgewiesen, von wo aus „der Sinn der [geschichtlich kulturellen] Wirklichkeit in allen Schichten des Lebens“ (GA 58, 261)) verstndlich wird.   

  Beim frhen Heidegger selbst findet sich ber diese Anzeige hinaus allerdings keine weitere anthropologisch forcierte Analyse der geschichtlich kulturellen Wirklichkeit als dem faktisch historischen Gestaltungsraum der Selbstbestimmung des Menschen. Offen bleibt demnach die Frage, in welcher Weise dieses Mich-selbst-haben konkretisiert werden kann, um sich darin als gelingend identisches Selbst zu gestalten. Um aber diese Frage beantworten zu knnen, wre es ntig, das in formal ontologischer Anzeige vergewisserte Situationsein des Menschen auf jene Entscheidungsituationen hin zu konkretisieren, die im Ansatz darin die Situation als historisch kulturell und im Sinne etwa von Charles Taylor auch als moralisch bestimmte Dimension entwickelt.  

  Was bei Heidegger eigentmlich leer bleibt, gewinnt demgegenber bei Husserl eine klarere Kontur, wenn man sich seinen Kulturbegriff etwa nher betrachtet. Ausgang hierzu bietet die im ersten Teil meines Vortrages bereits exponierte Annahme Husserls, dass eine konkrete Lebenswelt immer eine Kulturform ist. Mit anderen Worten erweist sich Kultur als die Wirklichkeit des Menschen, in der er als interagierendes Wesen mit Seinesgleichen zusammenlebt. Als europische und das heit fr Husserl neuzeitlich wissenschaftlich technische Kultur ist diese Kultur in die Krise geraten. Europisch jetzt nicht geographisch zu nehmen, sondern im Sinne der wissenschaftlich-technischen Kultur zu fassen, zeigt an, dass jene kulturelle Entwicklung, die in Europa ihren Ausgang nahm, sptestens mit der Industrialisierung zu einem globalen Ereignis geworden ist, in dem das geographische Europa selbst nur noch eine Stimme unter vielen anderen darstellt. Als Krise aber birgt sie fr Husserl, wie es in den Kaizo-Artikeln von 1924 heit, zugleich in sich die Chance bzw. das Ziel zu einer ‚Erneuerung der Kultur’ beizutragen. Kultur bestimmt Husserl als „den Inbegriff der Leistungen, die in den fortlaufenden Ttigkeiten vergemeinschafteter Menschen zustande kommen und die in der Einheit des Gemeinschaftsbewusstseins und seiner forterhaltenden Tradition ihr bleibendes geistiges Erbe haben“ (XXVII,21).   

  Mit dem Begriff des geistigen Erbes deutet sich an, dass fr Husserl Kultur nicht allein der „Inbegriff anschaulicher und zugleich immanent sinnhafter menschlicher Wirklichkeiten“ (Orth,143) ist. Vielmehr begreift Husserl im Verweis auf das geistige Erbe Kultur noch in einem zweiten Sinn und das heit als „hchstes Norm- und Selbstbewusstsein, in welchem die Kultur ihre eigene Wirklichkeit auf den Begriff bringt.“ (Orth,143). In diesem Sinne heit es im dritten Kaizo-Artikel, dass „das handelnde Leben einer Gemeinschaft, einer ganzen Menschheit (...) die Einheitsgestalt praktischer Vernunft, die eines ‚ethischen Lebens’ annehmen (kann). Das aber in wirklicher Analogie zum ethischen Einzelleben verstanden. Ebenso wie dieses wre es also ein Leben der ‚Erneuerung’ aus dem eigenen Willen heraus geboren, sich selbst zu einer echten Menschheit im Sinne praktischer Vernunft, also ihre Kultur zu einer ‚echt humanen’ Kultur zu gestalten.“ (XXVII,22) Dieses Kulturideal findet sich auch am Ende der „Krisis“-Schrift formuliert, wenn Husserl mit Blick auf die „Unendlichkeit des Lebens und Strebens der Vernunft“ (VI,275) hin betont, dass „Vernunft (als das Spezifische des Menschen als in personalen Aktivitten und Habitualitten lebendes Wesen) gerade das besagt, worauf der Mensch als Mensch in seinem Innersten hinaus will“(VI, 275). So betrachtet kann Husserl im Entwurf seiner Phnomenologie der Lebenswelt hervorheben, dass „Menschsein ein Teleologischsein und Sein-sollen ist und diese Teleologie in allem und jedem ichlichen Tun und Vorhaben waltet“(VI,275f.). Was Husserl hier als ethisches Ziel seiner Phnomenologie der Lebenswelt propagiert, ist, wie er selbst sagt, die „Idee der Autonomie, (also die) Idee einer Willensentschiedenheit, sein gesamtes personales Leben zur synthetischen Einheit eines Lebens in universaler Selbstverantwortlichkeit zu gestalten“ (VI, 272).  

  Was von Husserl hier als Kulturideal formuliert wird, ist eine Form von Lebenswelt hherer Stufe. Fr diese gilt, dass in ihr der Glaube an die Vernunft die Kultur prgt und bestimmt. Es ist aber nicht eine lediglich szientifische Vernunft, eine technologisch geprgte Rationalitt, die hier intendiert ist. Denn der von Husserl geforderte universale Glaube an die Vernunft hat sein Fundament darin, dass die Kultur als hhere Stufe der Lebenswelt darum wei, dass ihr eigenes Telos nichts anderes als eben die Vernunft selbst ist, die sich im konkreten Vollzug als universaler Vernunftglaube etabliert und damit selbst in die Verantwortung fr die Welt nimmt. Wirksam entfalten kann sich diese Verantwortung, wenn der phnomenologische Rckgang auf die Lebenswelt deren Lebensbedeutsamkeit als notwendige Voraussetzung fr eine hhere menschliche Lebensform erschliet. Damit aber erschliet mit anderen Worten eine Phnomenologie der Lebenswelt jenen moralischen Raum, in dem die philosophische Selbstbesinnung aus der „Idee einer Willensentschiedenheit, sein gesamtes personales Leben zur synthetischen Einheit eines Lebens in universaler Selbstverantwortlichkeit zu gestalten“ (VI,272), heraus jenen neuen Begriff von Vernunft ausarbeitet, der nach Husserl aus der gegenwrtigen Krise herausfhrt. Fr dieses Konzept einer lebensbedeutsamen Vernunft liee sich auch Heideggers Entwurf einer hermeneutischen Lebensweltphnomenologie ffnen.   

  Das aber wre die Aufgabe eines anderen Vortrages, den ich jetzt aber nicht halten werde. Und so schliee ich meine berlegungen mit einem herzlichen Dank fr Ihre Aufmerksamkeit.

  Siglen:

  Celms, Th.: Der phnomenologische Idealismus Husserls. New York/London 1979.

  Fink, E: Studien zur Phnomenologie. Den Haag 1966.

  Dilthey XIX: Dilthey, W.: Grundlegung der Wissenschaft vom Menscen, der Gesellschaft und der Geschichte. Gesammelte Schriften Bd. XIX. Gttingen 1982.

  GA 9: Heidegger, M: Wegmarken. Gesamtausgabe Bd. 9. Frankfurt/M. 1976.

  GA 56/57: Heidegger, M.:Zur Bestimmung der Philosophie. Gesamtausgabe Bd. 56/57. Frankfurt /M. 1987.

  GA 58: Heidegger, M. Grundprobleme der Phnomenologie (1919/20). Gesamtausga-be Bd. 58. Frankfurt/M. 1993.

  EU: Husserl, E.: Erfahrung und Urteil. Hamburg 1948.

  I: Husserl, E.: Cartesianische Meditationen. Husserliana Bd. I. Den Haag 1973.

  VI: Husserl, E.: Die Krisis der europischen Wissenschaften und die transzendentale Phnomenologie. Husserliana Bd. VI. Den Haag 1976.

  VIII: Husserl, E.: Erste Philosophie. Zweiter Teil. Husserliana Bd. VIII. Den Haag 1959.

  XV: Husserl, E.: Zur Phnomenologie der Intersubjektivitt. Dritter Teil. Den Haag 1973.

  XVII: Husserl, E.: Formale und transzendentale Logik. Husserliana Bd. XVII. Den Haag 1974.

  XXVII: Husserl, E.: Aufstze und Vortrge. Husserliana Bd. XXVII. Dordrecht 1989.

  Janssen, P.: Edmund Husserl. Freiburg/Mnchen 1976.

  Orth,E.W.: Phnomenologie der Vernunft zwischen Szentismus, Lebenswelt und Intersubjektivitt. In: Phn. Forschungen Bd. 22 (1989).

  Waldenfels, B.: In den Netzen der Lebenswelt. Frankfurt 1985.

  Welter, R.: Der Begriff der Lebenswelt. Mnchen 1986.


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  文章来源:实践与文本 2009-03-23
【本文责编:思玮】

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